Interview mit Bad Salzufler Bürgermeister Dirk Tolkemitt zur Klimaneutralität 2030 in Bad Salzuflen
1. Herr Tolkemitt, in dem Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU wurde 2020 das Ziel der klimaneutralen Stadt bis zum Jahre 2030 formuliert. Wie stehen Sie als Bürgermeister zu dieser Entscheidung und inwiefern haben Sie sogar an ihr mitgewirkt?
Der Koalitionsvertrag zwischen den beiden Parteien ist mit mir gemeinsam erarbeitet worden und ich denke, ich konnte viele Ziele, die mir auch persönlich und für die Stadt wichtig sind, darin unterbringen. Dazu gehören für mich auch unbedingt die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Denn abseits der tagesaktuellen Probleme und Aufgaben ist der Klimawandel die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte. Alle Aktivitäten, Projekte, Bauvorhaben und sonstigen Dinge sind überflüssig, wenn wir unsere Lebensgrundlage nicht erhalten. Die Zukunft kann man nur auf einem stabilen Fundament erfolgreich gestalten.
2. Zehn Jahre Zeit für eine so große Aufgabe… waren Sie nicht ein wenig skeptisch im Vornhinein – und was hat Sie dennoch überzeugen können?
Natürlich ist der Zeitrahmen ambitioniert. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir das schaffen können – auch, weil wir es schaffen müssen, um die Welt für unsere Kinder und Kindeskinder zu erhalten. Wenn wir von vorn herein lange Zeiträume einplanen, richten wir unsere Umsetzungsgeschwindigkeit auch daran aus. Das ist menschlich, aber nicht zielführend. Wir haben heute ein viel größeres Bewusstsein innerhalb von Gesellschaft und Politik dazu. Jedem ist klar, dass wir zeitnah beginnen.
3. Warum und wie wird Bad Salzuflen diese Aufgabe meistern können?
In unserer Stadtgesellschaft stecken viele Energien und Ideen – das macht mich auch so optimistisch, dass wir unsere Ziele erreichen können. Zum einen haben wir die Stadtverwaltung, die städtischen Töchter und alle öffentlichen Einrichtungen: Hier können wir selbst tätig werden, angefangen von der energetischen Sanierung von Rathaus, Schulgebäuden und so weiter. Daneben stellen wir unseren Stadtbus auf Elektromobilität um, setzen auf neue Konzepte in der Logistik und auf Veränderungen beim Modal Split. Unsere Stadtwerke sind bereits seit Jahren in der Eigenerzeugung von Energie unterwegs.
Gleichzeitig müssen wir aber auch die Bürgerinnen und Bürger sensibilisieren, Möglichkeiten eröffnen, klare Ziele setzen und sie mitnehmen. Bei der Entwicklung der ehemaligen Britensiedlung setzen wir beispielsweise von Beginn an auf Klimaneutralität für das künftige Wohnquartier. Zum Gewerbegebiet an der Leopoldshöher Straße haben wir uns ebenfalls gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart, hier ein energetisch autarkes Gebiet zu entwickeln. Es gibt also viele Stellschrauben, an denen wir den richtigen Kurs für die Zukunft einstellen können – doch das können wir nur gemeinsam. Deshalb legen wir derzeit den Grundstein für eine nachhaltige Zukunftsstrategie für Bad Salzuflen mit klaren Zielen, die wir gemeinsam zwischen Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft erarbeiten und vereinbaren wollen. Und auch da werden die beiden Worte „Klimaschutz“ und „Nachhaltigkeit“ drinstehen – und mit Leben erfüllt werden.
Nicht zuletzt ist Bad Salzuflen ein Gesundheitsstandort und Gesundheit beinhaltet immer auch Nachhaltigkeit und den Glauben an die Zukunftsfähigkeit. Das Bewusstsein gesund zu leben, gesund zu werden, gesund zu bleiben, eine gesunde Umgebung zu haben usw., waren und sind Nährboden für bewusste Entwicklungen und erzeugen Kraft, insbesondere für den Wandel zu mehr Klimabewusstsein.
4. Was bedeutet das Pariser Klimaabkommen für Sie – und was für Ihre Stadt?
Das Pariser Klimaabkommen ist nunmehr seit fünf Jahren in Kraft. Hier haben sich über 190 Staaten gemeinsam verpflichtet, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Dieses Ziel ist auch für uns bindend, denn Bund und Land können diese Aufgabe nicht alleine erfüllen. Der Klimaschutz muss vor Ort gemacht werden. Daraus ergeben sich für uns eine Vielzahl von Aufgaben, aber auch Chancen. Denn letztendlich wird die Nachhaltigkeit am Ende ein Gewinn für uns alle sein. Nur wenn wir tun, wenn wir jetzt die Grundlagen für Morgen legen haben solche Abkommen überhaupt eine Chance auf Realisierung.
6. Für Sie haben letztendlich die Vorteile des ambitionierten Klimaneutralitätsziels überwogen. Wird es für Bereiche wie etwa die städtische Wirtschaft nicht mehr Risiken geben?
Die Wirtschaft ist ständig im Wandel, entwickelt sich und passt sich an. Insofern müssen wir als Kommune frühzeitig auf innovative und nachhaltige Unternehmen setzen – ob bestehende oder neue. Für die Zukunft brauchen wir eine Wirtschaft, die auch im Eigeninteresse nachhaltig denkt, handelt und produziert. Bad Salzuflen ist eine Stadt, die von den Bereichen Gesundheit und Tourismus geprägt ist, über 4.000 Menschen verdienen allein in diesen beiden Branchen ihren Lebensunterhalt. Deshalb will ich mit dem geplanten Gesundheitscampus gleichzeitig Perspektiven entwickeln, aber auch das Thema Nachhaltigkeit mitdenken und umsetzen. Gesundheit ist das höchste Gut des einzelnen Menschen während eine gesunde Umwelt für uns alle überlebenswichtig ist.
Ich vertraue auch darauf, dass die Innovationskraft und die Kreativität des Menschen dazu führen wird, dass sich Unternehmen anpassen werden und die Vorteile für ihr Business erkennen werden. Die Notwendigkeit und die Herausforderung des Klimaschutzes werden auch ein Treiber von Innovationen und Erfindungen sein. Unsere Aufgabe ist es Unternehmen gute Rahmenbedingungen zu geben und sie bei ihrem Transformationsprozess zu unterstützen. Deutschland und auch Bad Salzuflen brauchen produzierende Unternehmen und Handwerksbetriebe. Einige werden mehr als andere an Energie und Rohstoffen verbrauchen oder auch Schadstoffe emittieren. Diese Emissionen müssen wir geringhalten und durch neue Produktionsverfahren und Abläufe zukunftsfähig halten. Im Mix aller, werden wir aber die Klimaneutralität hinbekommen.
7. Eine letzte Frage: Wie sieht Ihre persönlich ganz konkrete Vision der klimaneutralen Stadt aus? Welche Stellschrauben gibt es?
Wenn wir die Dinge richtig anpacken, angehen und umsetzen, haben wir am Ende eine klimaneutrale Stadt, die sich durch hohe Lebens- und Aufenthaltsqualität, eine gesunde Natur, sichere Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit und eine stabile Wirtschaft auszeichnet. Diese Dinge zusammen zu denken, zu planen und anzugehen – das ist eine Aufgabe, der ich mich gerne stelle und die ich gemeinsam mit vielen motivierten Menschen in Verwaltung, Politik und Gesellschaft angehen will. Wir werden viele Dinge angehen müssen, aber ich bin sehr optimistisch, dass wir am Ende feststellen werden, wie viel besser unser Leben geworden ist. Konkret beginnen wir beim größten Potential, unseren eigenen Gebäuden. Dann folgen die Gebäude von Unternehmen und privaten Investoren, die wir beraten und über Bauleitplanung und Anreize stimulieren wollen.